Viele kleine Wunder - An(ge)dacht zwischen Rhein und Reben
„Erinnerung ist Zukunft“
Bischof Wiesemann im Gespräch mit Teilnehmern der Gedenkveranstaltung vor der Landauer Marienkirche, Foto: Henning Wiechers
Landau. Die Erinnerung wach halten, um daraus für die Zukunft zu lernen, so lautete der Tenor der Gedenkveranstaltung zum Gedenktag für Betroffene sexualisierter Gewalt, die am Samstag, 18. November auf dem Kardinal-Wetter-Platz vor der Landauer Marienkirche stattfand. Die Zusammenkunft stand unter der Überschrift: „Erinnerungskultur – Betroffenen Raum und Gehör geben“. Rund 50 Gäste waren der Einladung des Betroffenenbeirats und des Netzwerks Prävention des Bistums Speyer gefolgt. Auch der Speyerer Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann war unter den Teilnehmern.
Als Sprecher des Betroffenenbeirats begrüßte Bernd Held die Menschen, die sich am Samstagnachmittag auf dem Platz vor der Marienkirche versammelt hatten. Er wies darauf hin, wie wichtig solche öffentlichen Veranstaltungen seien, um auf die Bedeutung des Themas Aufarbeitung und Prävention von sexualisierter Gewalt hinzuweisen. Schwerpunkt der von Christine Lormes, eine von zwei Präventionsbeauftragten im Bereich sexualisierte Gewalt für das Bistum Speyer, moderierten und von Johannes Barth am Saxofon musikalisch umrahmten Gedenkveranstaltung waren Informationen und Statements von Angehörigen des Betroffenenbeirats und des Netzwerks Prävention über das jeweilige Gremium und die mit ihm angestrebten Ziele sowie Hinweise für von sexualisierter Gewalt Betroffene und die Möglichkeiten, mit dem Erlebten umzugehen.
Ein weiteres Thema war die Bedeutung des Gedenkens an sich, des Wachhaltens der Erinnerung an das Missbrauchsgeschehen. Darauf bezugnehmend, war die Wahl des Veranstaltungsortes bewusst auf den Kardinal-Wetter-Platz in vor der Landauer Marienkirche gefallen. Nach einem intensiven Austausch- und Entscheidungsprozess hatten sich der örtliche Pfarreirat und Betroffenenbeirat Anfang Oktober auf die Beibehaltung des Namens des Platzes verständigt, der ihn dem gebürtigen Landauer Friedrich Wetter widmet, dem heute Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchsfällen in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising vorgeworfen wird. „Erinnerung schärft den Blick, damit es verhindert werden kann, dass solche Taten sich wiederholen“, formulierte etwa Christiane Kleemann-Gegenheimer vom Netzwerk Prävention, und auch Friederike Walter, Leiterin des Dom-Kulturmanagements und ebenfalls im Netzwerk aktiv, unterstrich: „Es ist keine Vergangenheitsaufgabe, sondern es ist ein Blick in die Zukunft“. Der trage etwa dazu bei, die über 300 Kinder in der musikalischen Arbeit am Dom zu schützen. „Wir versuchen, sie stark zu machen, damit sie Grenzverletzungen erkennen und auch auf andere achten können“. Der Austausch mit den Betroffenen helfe dabei, die Mechanismen im Missbrauchsgeschehen zu verstehen.
„Erinnern ist Zukunft“, unterstrich auch Hildegard Kehrer-Frank, „und Erinnerung muss gepflegt werden“. Es sei wichtig, nicht zu verschweigen, was geschehen und wer am Missbrauch beteiligt war. Das sei auch heilsam. Nicht nur für Betroffene selbst, sondern auch für Kirche und Gesellschaft: „Es ist schön, dass man jetzt in einer Zeit leben kann, in der man Solidarität und Empathie erfährt. Das ist ja etwas Neues für uns Betroffene“.
Auf die Frage von Moderatorin Lormes, warum es dem Betroffenenbeirat so wichtig sei, bei Gedenkveranstaltungen präsent zu sein, aber auch viele weitere Informations- und Gesprächsmöglichkeiten anzubieten, antwortete Beiratsmitglied Markus Vögeli, es sei wichtig Betroffenen zu zeigen, dass es Ansprechpartner gebe, denen sie sich mit dem von ihnen Erlebten anvertrauen könnten. Denn das Mitteilen falle nicht leicht. Es sollte ohne Druck geschehen. Aber er wolle Betroffenen Mut machen – „Meldet euch! Ihr habt durch uns einen Rückhalt“.
Dass sich mitteilen zu können eine Befreiung sei, konnte die Beiratsangehörige Maria Müller in eigener Sache bestätigen. „Zuhörer zu haben, Gespräche führen zu können, das macht Mut
Hildegard Kehrer-Frank nannte noch einen weiteren Aspekt: Die öffentliche Präsenz intensiviere die Wahrnehmung der Problematik durch die Gesellschaft. Angefangen habe man mit der Produktion von Infoflyern, die allerdings zunächst wenig Beachtung fanden. Um das zu ändern habe man die aktive Öffentlichkeitsarbeit weiterentwickelt. „Wir haben dem Missbrauch ein Gesicht gegeben. Und da haben wir bemerkt: Das bewegt die Menschen.“
Einen Überblick über die Arbeit des Betroffenenbeirats insgesamt und das „Lotsensystem“, in dem Beiratsmitglieder Betroffene unterstützen, gab anschließend Werner Marz-Kohl. Auf das Thema Gendenkkultur und deren Bedeutung wies der Sprecher des Betroffenenbeirats, Bernd Held, am zum Schluss der Veranstaltung erneut hin. Er erzählte von seinen eigenen Erfahrungen, vom Austausch mit anderen Betroffenen und von dem Gedenkort am Homburger Johanneum, den er schließlich mit initiierte. Mit Dankesworten für die Beiträge lud er die Anwesenden dazu ein, sich nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung noch im Gespräch – auch mit dem Speyerer Bischof – auszutauschen.
Zum Hintergrund:
Seit 2015 findet der Gedenktag für Betroffenen auf Anregung von Papst Franziskus jährlich in Deutschland am 18. November statt im zeitlichen Umfeld des „Europäischen Tages zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch“. Ziel des europäischen Tages ist es, Impulse für einen verbesserten Kinderschutz zu geben und die Gesellschaft weiterhin für die Thematik des sexuellen Kindesmissbrauchs zu sensibilisieren.
Text und Fotos: Henning Wiechers für das Bistum Speyer